Passion Berge, Passion Kunst

"Ich muss das einfach machen"

Die Berge – für viele ein Lebenselixier! Mit ihren gewaltigen Formen und wechselnden Stimmungen, in ihrer Beständigkeit und steten Veränderung sind sie für den Opern-Dirigenten Hans-Christian Hauser und den Lehrer Benjamin Vogel immer auch Inspirationsquelle der eigenen Kunst.

Dies ist eine Einladung, gemeinsam mit Hans-Christian Hauser und Benjamin Vogel gedanklich durch ganz reale Bergwelten zu wandern. Ebenso wie durch solche, die einzig der menschlichen Imagination entspringen. Was beide Künstler im Gepäck (dieser Wanderung und des Lebens) mit sich führen, ist ein enger Bezug zu den Bergen, der sich schon in frühester Kindheit abzeichnete.

Hans-Christian Hauser

isny-oper.de

Der Bezug zu den Bergen ist bei Hans-Christian Hauser einigermaßen plausibel, ist er doch in Isny aufgewachsen, einem kleinen Städtchen im Allgäuer Voralpenland, wo die Berge losgehen. Von hier aus erkundet Hauser immer wieder „seinen“ Alpenkorridor. Dieser reicht, besonders formenreich mit klassischen, felsgrauen Gipfeln und grünen, steilen Grasflanken, von den Allgäuer und Lechtaler Alpen über den Bregenzerwald weiter ins Engadin und Tessin. Zwischen Mai und November, so erzählt Hauser, macht er als „klassischer Sommergeher“ etwa 25 Touren. Dabei extrem früh aufzustehen kommt für ihn nicht in Frage. Für sportlich Ambitionierte wäre das durchaus ein Problem. Aber: „Ich bin kein Sportler, sondern Künstler.“

Ein vielseitiger noch dazu: Er hat Kirchenmusik studiert, spielt Geige, Klavier und Orgel. Ende der 1980er Jahre kreierte er das Isny Opernfestival. Das kleine Landesfestival von Baden-Württemberg gibt in diesem Jahr zum nunmehr 37. Mal begabten Student*innen und jungen Absolvent*innen verschiedener Musikhochschulen die Chance, ihre Fähigkeiten in szenischen Stücken – sei es Oper, Operette oder Revue – ihrem Publikum zu präsentieren. Trotz aller regionalen Prägung ist das Festival unter Hauser durch das Rekrutieren aus dem universitären Umfeld auch auffällig international aufgestellt. Unterwegs zwischen vielen Sprachen, hält er als Festivalleiter die organisatorischen Fäden in der Hand, komponiert und dirigiert. Im Rahmen des Programms, zu dem sich über die Jahre auch kleine Konzerte, Mittagsmusiken und Filme gesellt haben, führt Hauser Regie; er mimt den Odysseus und tanzt (und reitet) dafür auch schon mal.

Außerdem wäre da noch das Malen: Ist Hauser auf seinen Touren meist zwischen achthundert und zwölfhundert Höhenmeter den Berg hinaufgestiegen – „ich schau, dass ich zügig hochkomme“, zückt er nach einer kleinen Vesper, ein bisschen Fotografieren und Berge Identifizieren seine Malutensilien. Die Energie dafür, so ganz neben dem Wandern, hat er auch im sechsten Lebensjahrzehnt. „Für mich liegt es als Künstler im Blut, dass ich dann ein Bild malen muss. Das ist für mich eine feste Übung, so als wenn man Klavier spielt oder als Balletttänzer einfach tanzt. Ich überlege also nicht jedes Mal, ob ich das jetzt will. Sondern ich mach das einfach.“

Wenn Hans-Christian Hauser einen Gipfel erreicht, ist es Zeit, ein weiteres Bild zu malen. Foto: Archiv Hans-Christian Hauser

So entstehen, verrät er, kleinformatige Bilder, die in Aquarell- und Pastelltechniken seine Eindrücke festhalten. Das Format dieser Miniaturen wiederholt sich serienartig ein Jahr lang. Was sich währenddessen immer wieder ändert sind die Farben. Je nach Jahreszeit und Wetterlage, Erlebnis und Adrenalin: „Ich beeinflusse das gar nicht bewusst, sondern ich führe da …“ – er deutet eine Geste des schnellen Zeichnens an – „… Pastellkreiden und Aquarellpinsel rasch und konzentriert übers Papier. Wenn ich wieder unten bin, sehe ich, wie’s eigentlich war auf dem Berg. Das Aquarell bearbeite ich dann auch nicht weiter nach, sondern es ist wie’s ist.“

Es sind immer wieder flüchtige Momente, die Hauser einfängt. Erahnt man in dem einen Bild das nahende Gewitter, ist es im anderen eine Bergblumenwiese mit ihrer farbenfrohen Opulenz. Kein Wunder, sind doch Blumen für Hauser die Hauptattraktion der Berge.

„Bei der Blütenpracht der Allgäuer und der Lechtaler Grasberge im Juni und Juli geht mir wirklich das Herz auf.“

An der Schönheit der Blumen ist Hans-Christian Hauser ähnlich stark gelegen wie an der Schönheit der vielen kleinen Kirchen und Kapellen im alpinen Gebiet. So hatte er eine ganze Zeit bei Streifzügen durch die Alpen seine Geige dabei und hat immer wieder in solchen Kirchlein gespielt. Er versucht, das große Ganze der Berge zu erfassen und zu genießen. Vor allem ist es die zivilisatorische, die kulturelle Kraft, die er in den Alpen besonders deutlich wahrnimmt, die er hier viel stärker verankert sieht als in anderen Gebirgen der Welt und die ihn fasziniert.

 

Benjamin Vogel

benjamin-vogel.de

Auf das Kulturelle kommt auch Benjamin Vogel bald zu sprechen, wenn er von den Alpen redet. Eines der Themen, für die er sich begeistern kann: der einstige Bergbau. Schließlich stammt Vogel aus dem Ruhrgebiet, lebt in Dortmund. Nicht wenige, die seine Bilder betrachten, sind über seine große Affinität zu den Bergen verwundert. Für alle, die die Alpen direkt vor der Haustür stehen haben, erscheint es mitunter eigenartig, wenn ein „Nordlicht“ Bergthemen als Sujet hat. Und auch im Ruhrgebiet ist man immer wieder überrascht, dass er sich mit Bergen auseinandersetzt. Seine persönliche Verbundenheit gründet vor allem darin, dass er in seiner Kindheit und Jugend mit den Eltern um die dreißig Mal in Reith bei Seefeld war und der Tiroler Ort zur zweiten Heimat wurde. In diesen Urlauben, so weiß er aus Erzählungen, hat er schon als kleiner Junge mit Filzstiften Landkarten gezeichnet. Überhaupt war wohl schon früh ein gewisses Talent zu erkennen, eine große Vorstellungskraft und ein ausgeprägtes räumliches Denken, das ihn bis heute besonders interessiert.

Benjamin Vogel lebt in Dortmund und erschafft in seiner Kunst fiktive Bergwelten. Foto: Roland Baege Fotografie

Statt aber das, was er über die Jahre so genau kennengelernt hatte, direkt festzuhalten, ging Vogel einen anderen Weg: Vor etwa zwanzig Jahren begann er, Berglandschaften zu erfinden, zu entwickeln und zu malen. Die erste Landschaft, die seiner Imagination entsprang und die sich heute mit den Augen erkunden lässt, war das Langseetal – eine Landschaft, in die seine eigenen Urlaubs- und Reiseerfahrungen einflossen. Gleichzeitig ist es eine Urgesteinslandschaft mit Vergletscherung, Granitzacken und allem, was einem in den Sinn kommen mag, wenn man an die Alpen denkt.

Um seine künstlichen Berglandschaften auf Papier zu bringen, betreibt Benjamin Vogel gewissermaßen Kartografie rückwärts: „Ich erfinde kartografisch diese Landschaft, um die kartografische Aufsicht dann mathematisch in eine Ansicht zu übersetzen. Und wenn mir Entwürfe gefallen, dann beginne ich mit dem Malen.“ Seine Kartenkunst basiert auf händischen Prozessen, die sich über die Jahre veränderten. Brachte er die Karten früher mit einem dünnen Tuschestift und mit einer Zeichenfeder auf Architektenpapier, entdeckte er später die Vorzüge von Photoshop, was seine Arbeiten fast wie ein echtes Kartenbild erscheinen lässt.

Zu den erfundenen Landschaftsbildern des Langseetals hat Vogel inzwischen gar einen Wanderführer geschrieben, in dem sich neben 40 Wanderungen und Hochtouren auch reisepraktische Informationen finden zu der Bergregion, mit ihren Gipfeln bis 3795 Metern Höhe.

Zwei weitere Projekte begleiten ihn seit einiger Zeit: Zum einen sollten die Alpen doch bitte mit einem echten Fünftausender gekrönt werden. Also holte er sich bei der Schweizer Landeskartografie die Erlaubnis, mit einer deren Karten arbeiten zu dürfen. Die Frage, die ihn umtrieb:

Wie sähen die Alpen aus, wenn es erdgeschichtlich ein kleinwenig anders gelaufen wäre?

Seine künstlerische Antwort: „Nahe vom Gotthardmassiv bastelte ich einen großen weißen Fleck in die Landschaft. Ich suchte dabei das völlig übersteigerte, alpine Klischee und endete also mit zwei schneebedeckten Bergen, die knapp über fünftausend Meter hoch sind.“

Zum anderen sind da die Märkischen Berge – ein Gebirge, das Vogel direkt vor seiner Haustür in die Realität hineingepackt hat und das seiner persönlichen Wunschfantasie entspricht: am Dachfenster zu stehen, über den kleinen Hügel hinüberzuschauen, den es da gibt, und die Berge zum Greifen nah zu haben.

Dass sich die Alpen in den vergangenen Jahren zunehmend verändert haben, geht auch an Vogels Kunst nicht vorbei: „Die erste Karte vom Langseetal habe ich 2001 gezeichnet. Da sind die Gletscher noch sehr viel größer als jetzt, auf der Version von 2023. Im Hinterkopf habe ich auch noch eine entsprechende Karte von 2100, wo so gut wie gar kein Gletscher mehr zu sehen sein wird.“

Vor allem an den Wochenenden oder in den Ferien kann Benjamin Vogel seinen eigenen künstlerischen Ideen Raum geben. Überwiegend arbeitet er als Realschullehrer und unterrichtet auf einer Dreiviertelstelle Mathematik und Kunst. Nach einem Umweg über das Bauingenieursstudium für ihn etwas verspätet „ein Volltreffer“, wie er es formuliert. Denn schon damals erkannte er, dass er recht gut erklärt und Freude daran hat. Sein Lebensmodell gibt ihm nun die Freiheit, nicht von der Kunst leben zu müssen. Genauso wie die Freiheit zu künstlerischen Experimenten. So ist die Kunst sein Lebenselixier. „Wenn ich keine Kunst mache, dann fehlt mir was. Da gibt es keine Diskussion, ich muss das einfach machen.“

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